Ich bin eine Einzelkämpferin
Spoiler: zumindest wäre das mein Résumé, wenn ich über mein bisheriges Leben nachdenke. Dabei wollte ich das die meiste Zeit über gar nicht sein. Hä? Wie kann das dann sein?
Lasst mich daher ein bisschen ausholen.
Wie Introvertiertheit und mangelndes Selbstbewusstsein mich zur Eigenbrödlerin machte
Meine gesamte Schulzeit über gehörte ich zu den eher introvertierten, ruhigeren Schülerinnen. Ich fiel wenig auf und war für die meisten um mich herum nicht greifbar; viele werden sich womöglich gar nicht mehr an mich erinnern. Ich war freundlich, unauffällig, zurückhaltend. Es gab nichts polarisierendes an mir. Die meisten Lehrer und Schüler hatten nichts gegen mich. Wie hätten sie auch? Ich war quasi Luft. Ein paar wenige, die mich nicht leiden konnten (ja, die gab es!), müssen ihre persönlichen Gründe gehabt haben, denn meine fast unsichtbare Präsenz stellte keinerlei Angriffsfläche dar.
Obwohl damals schon der Wunsch in mir steckte mehr aus mir herauszukommen und auch mal im Mittelpunkt zu stehen, traute ich mich nicht so recht. Ich wusste nicht, wie ich über mich hinauswachsen konnte. Meine Eltern waren diesbezüglich leider weder große Hilfe noch gute Vorbilder. Also dümpelte ich noch ziemlich lange in meiner eigenen "Komfortzone" und ließ verschiedenste Chancen (und Mitschüler) an mir vorbeischießen. Und das nicht, weil sie besser gewesen wären, sondern schlicht und ergreifend weil ich hinter meinen eigenen Möglichkeiten zurückblieb. Ein Motiv was sich noch häufiger wiederfinden würde...
Die Letzte beißen die Hunde
Seien es Freundinnen, die Ideen umsetzten, die ich ihnen im Geheimen anvertraut hatte oder Möglichkeiten, für die ich einfach zu spät kam, weil mich die Überwindung immer viel zu lang aufhielt. Ich war ein zögerliches Häufchen Elend. Wenn ich darüber nachdenke warum ich immer alles so lange vor mir herschob und tausend mal durchdachte, dann liegt dem ein tiefer Perfektionismus zugrunde. Ich wollte immer alles komplett richtig und perfekt machen. Mit (in meinen Augen) "halbfertigen" Sachen wollte ich nie aus der Deckung kommen... Tja nun, dafür war ich dann aber stets die Letzte.
Zögern ist Sch***. Das habe ich irgendwann verstanden und gelernt. Die anderen namen keine Rücksicht darauf, dass ich ein zögerliches, unsicheres Etwas war. Sie gingen einfach ihren Weg. Schauen wir uns einmal um: so ist unsere Welt. Doch damals hinterließ das in mir tiefe Spuren der Enttäuschung. Jede Freundin, die mir Ideen stahl oder mir mit einer Sache die ich wollte, zuvor kam, wurde für mich zur Rivalin. Irgendwann hütete ich Gedanken und Dinge, die ich mir vornahm, wie einen Schatz. Das war die Geburtsstunde meines Einzelkampfes. Wenn du das Gefühl hast niemandem mehr vertrauen zu können und von allen hintergangen zu werden, dann ziehst du dich immer weiter zurück. Ein paar wiederholte, negative Erfahrungen taten ihr übriges.
Hätte ich in meiner Kindheit mehr Rückenwind, Motivation und "Kollegialität" erlebt, dann hätte ich mich wahrscheinlich in eine andere Richtung entwickelt. Aber klar: Erlebnisse aus der Kindheit entschuldigen nicht alles. Sie sind auch kein Grund, an alten Kamellen festzuhalten.
Kill your darlings
Als ich alt genug war das alles zu reflektieren, konnte ich einen großen Teil davon loslassen. Zu meiner Studienzeit hatte ich eine 180 Grad Wendung hingelegt. Ich nutzte die neue Umgebung und das offene Umfeld, um mich komplett neu zu erfinden. Ich fand meine kommunikative, aufgeschlossene Art. Ich hatte es endlich geschafft meine Stärke nach außen zu kehren – und meine Ecken und Kanten. Wenn ich heute Leuten erzähle, dass ich früher ziemlich schüchtern und zurückhaltend war, dann lachen die meisten und halten es für einen Scherz.
Also Ende gut alles gut? - Nee, nicht ganz.
Aller Anfang ist ...
Zoomen wir mal raus aus meiner Jugend, rein in meine ersten Jahre als selbstständige Künstlerin. Kurz nach dem Studium schmiss ich mich voller Elan und Tatendrang in meine Freiberuflichkeit. Ich war motiviert und bereit die Welt zu erobern. Ja, zugegeben, ich war natürlich noch grün hinter den Ohren und ziemlich naiv. Aber hätte ich damals gewusst, was da alles auf mich zukommen würde und welche Entbehrungen ich bis heute in Kauf nehmen müssen würde, ich hätte es entweder nicht geglaubt oder ich hätte das Weite gesucht. Manchmal ist es gut, wenn man Konsequenzen die einem bevorstehen nicht kennt.
Innerhalb der ersten Monate prasselten viele Dinge auf mich ein. Ich begriff langsam, dass Selbstständigkeit hart ist. Ein Unternehmen zu führen bedarf vieler Fertigkeiten. Der kulturelle Sektor ist zwar ein tolles Feld, bringt aber seine ganz eigenen Herausforderungen mit sich. In der Kunst selbstständig zu sein ist ein Überlebenskampf.
Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken!
Wie alle jungen, motivierten Selbstständigen, turnten mein Projektpartner und Ich in den ersten Jahren auf allen erdenklichen lokalen und überregionalen Netzwerkveranstaltungen herum. Wir erzählten Hinz und Kunz von unserem Projekt, schrieben hunderte Mails im Monat, betrieben Kaltakquise wie die Weltmeister. Wir wollten unsere Kunst und unsere Programme so bekannt wie möglich machen. Die Quote: 100 zu 1.
Wir lernten relativ schnell, dass sich die Welt nicht um uns dreht und dass wir für Außenstehende "ein Dienstleister" von vielen waren, welcher auf Kundenfang ging. Der Konflikt zwischen dem Künstlersein und dem Kunstverkauf bahnte sich so langsam an.
Wir lernten, dass Netzwerktreffen nicht wirklich zum Netzwerken da sind, weil die meisten dir nur ihre Visitenkarte zustecken möchten und sich ansonsten herzlich wenig für dich interessieren. Ein Künstlerkollege sagte einmal "Alle wollen mit dir reden, finden es spannend was du machst, aber buchen werden sie dich nie." - An diesem Spruch ist so unfassbar viel Wahres dran. Gerade als Künstler bist du auf vielen Business-Treffen ein Exot. Wenn du erzählst, dass du mit darstellender Kunst deinen Lebensunterhalt verdienst, dann sind die Leute mehr daran interessiert ob du davon leben kannst als etwas von deinen Programmen erfahren zu wollen. Deine bloße Existenz wird argwöhnig beäugt. Daran muss man sich erstmal gewöhnen.
Kollegialität - wo bist du?
Sich mit "Künstlerkollegen" auszutauschen ist auch ein schwieriges Thema. Unsere Versuche kollegial auf andere Berufskünstler zuzugehen wurden entweder ignoriert oder als Ausspähungsversuch gewertet – es herrscht leider viel Ellbogendenken in der Kunstszene. Ich will nicht sagen, dass alle Künstler so sind, sicher gibt es Ausnahmen, aber leider haben wir diese nur sehr selten kennengelernt.
Kurzum: meine Erfahrungen mit Kollegialität und potentiellen Netzwerkpartnern fiel eher mau aus und fütterte meine inneren, hinter mir gelassenen negativen Erfahrungen aus der Kindheit. Meine innere Eigenbrödlerin kam langsam wieder zum Vorschein und übertrug sich auf meine Selbstständigkeit. Frei nach dem Motto "Wenn hier kein Teamgeist vorhanden ist, dann machen wir's halt allein." - Und das taten wir bei mitossi dann auch, bis zur Erschöpfung.
Ernüchterung, hello
Erste richtige Überforderung stellte ich nach etwa 3 Jahren ein. Unsere Proberäume wurden ausgeraubt und man klaute uns Equipment im Wert von 10.000 €. Die Versicherung brauchte Wochen um für den Schaden aufzukommen. In der Zeit konnten wir keine Aufträge annehmen und hatten Umsatzeinbußen, die uns fast in den Ruin trieben. Die Luft bei mir und meinem Kollegen war raus. Auch privat kriselte es. Zu dem Zeitpunkt war einfach alles Sch***.
Kaum hatten wir uns wieder auf einen grünen Zweig gekämpft, kam der nächste Klöpper. Durststrecken wurden unsere regelmäßigen Begleiter. Die Coronapandemie weitere Jahre später setzte dem Ganzen die Krone auf. Nun prasstelte alles auf uns ein: Veranstaltungsverbot (für uns: Berufsverbot), knappe Rücklagen, kein soziales Netz, keine Freunde zum Reden. Wir waren komplett allein und isoliert. Zu dem Zeitpunkt hatten wir 6 Jahre Selbstständigkeit hinter uns. Wir hatten schon verschiedenste Achterbahnfahrten erlebt, uns immer wieder aufgerappelt, aber das Hier war eine neue Nummer. Die ganze Ungewissheit und existenzielle Bedrohung war einfach zu viel. Aber irgendwie schwammen wir... Wir waren zwei Ertrinkende, die um unser Leben schwammen. Ich habe keine Ahnung, wie wir es schafften in dieser beschissenen Zeit überhaupt noch kreativ zu sein. Ich muss sagen, auch heute noch sitzt uns die Coronazeit im Nacken. Die ganze Sache hat tiefe Spuren hinterlassen.
Zwar haben wir es – mal wieder – geschafft unser Geschäft zu retten und wieder halbwegs auf den Stand von vorher zu kommen. Aber so sein wie vorher wird es trotzdem nicht. Wenn irgendwo eine Krise ist und Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, dann merken wir "Kulturschaffende" es als erstes. Daher müssen wir Umdenken und jonglieren. Als Künstler ist man ohnehin ständig im Wandel. Doch wenn man mit Kunst auch noch sein Leben finanzieren möchte, dann muss man nicht nur künstlerisch sondern auch wirtschaftlich denken. 2023 ist geprägt von vielen neuen Ideen und Visionen für die Zukunft. Es läuft darauf hinaus, dass wir uns einmal mehr völlig neu erfinden. Ein Bekannter formulierte es vor einer Weile ganz passend: "entweder wir gehen unter oder wir werden ganz groß. Wir haben uns für Zweiteres entschieden."
Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit
Dennoch vergeht kein Tag, an dem wir nicht über "fehlende Community" o.ä. sprechen. Trotz einer global vernetzten Welt, dem Internet, sozialen Medien, öffentlichen Auftritten und Co. habe ich das Gefühl, dass es schwieriger ist denn je eine echte Community aufzubauen. Es ist alles so schnelllebig und unverbindlich. Gibt es wahres, aufrichtiges Interesse überhaupt noch? Die Gesellschaft ist übersättigt an allem. Kunst wird nicht genossen, sie wird konsumiert. Der Umgang mit uns gleicht dem Umgang mit Wegwerfware. Das Tückische am Künstlersein ist, dass man sich nicht leisten kann eigenbrödlerisch zu sein und sich von der Öffentlichkeit zu verkriechen - dein Erfolg als Künstler hängt von einem dich liebenden Publikum ab. Du bist also von der Aufmerksamkeit der Anderen abhängig, ob dir das passt oder nicht. Heutzutage Aufmerksamkeit zu generieren ist kein leichtes Unterfangen.
Ich schaue gern zu alten Bands auf, die eine florierende Fan-Base genießen, von der jeder Künstler nur träumt. Zeitgleich sehe ich diverse Influencer, die auf Social Media hundertausende Follower unterhalten und für sich begeistern können. Manche machen einen echt guten Job, aber es gibt auch so viel Schrott da draußen, dass ich mich regelmäßig frage, wie zur Hölle es sein kann, dass diese Leute so viel Aufmerksamkeit bekommen, während andere wie wir Herzensprojekten nachgehen, welche keine Sau zu interessieren scheinen. Was für eine verkehrte Welt.
Während wir in der Coronapandemie nicht wussten wie wir uns etwas zu Essen kaufen sollten, haben irgendwelche Instgram-Hipster mit Motorschaden mal eben über Nacht tausende Euro von ihrer Instagram-Community für einen neuen Motor eingesammelt, damit sie ihren "Reisealltag" weiterführen können. ...
Wie soll man in so einer Welt überhaupt noch an so etwas wie "Team" oder "Kollegialität" glauben? Also schließt sich an dieser Stelle für mich der Kreis:
Ich bin eine Einzelkämpferin, weil ich oftmals keine andere Wahl hatte. Die Gesellschaft hat mich zu dem gemacht. Und ja, ich weiß, das soll keine Ausrede sein, eher eine Feststellung. Ich bin per sé kein Ellbogentyp. Ich kann mit Rivalität und Konkurrenzdenken nichts anfangen. Nach wie vor glaube ich daran, dass Gemeinschaftlichkeit und Mitmenschlichkeit mehr bewirken. Und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch ich irgendwann ein positives Umfeld finden werde – aber aktuell suche ich noch. |